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10 Oktober

01.10.10  


Der Herbst 2010. Direkt vor meiner Haustüre. Ich wollte immer mal "Herbst" in meinen Filmen haben, nachdem ich Hitchcocks "The Trouble With Harry" gesehen hatte. Bei "PINK" war "richtiger Herbst" für eine Episode geplant, aber geschafft haben wir das nicht, weil wir wegen Hannah Herzsprung (die noch Drehtage bei ein oder zwei anderen Filmen hatte) und Ute Freund (die auch für einen anderen Film in Ägypten Motivsuche machte) den Drehbeginn verschieben mussten. Am 7. November 2007, als wir mit dem Drehen anfangen konnten, gab es nur noch Herbst-Reste in der Natur.
02.10.10   Für Mäuse hat der Winter bereits begonnen. Es gefällt ihnen auf meinem Bauernhof. Ich habe etwas gegen ihren Aufenthalt und stelle mehrere Fallen mit Appenzeller-Käse auf. Gestern habe ich am Nachmittag noch ein Goldregen-Bäumchen und einen Forsythien-Busch verpflanzt, denn jetzt ist die beste Pflanzeit. Morgen sind nochmal drei Büsche zum Verpflanzen dran. Ich muss mein rechtes Knie schonen, das mir seit drei Wochen wehtut. Bis zur Viennale habe ich keine Zeit für Hyaloronsäure-Spritzen ins Knie (die mir vor zwei Jahren schon mal geholfen haben) und schon gar nicht für eine minimalinvasive Operation. Auch meine Zahnärztin möchte mir gerne den Weisheitszahn ziehen, der vor den Dreharbeiten zu "DAS ROTE ZIMMER" plötzlich aufgetaucht ist. Es ist kein Vergnügen, alt zu werden.





Die für "PINK" gepflanzte Sternmagnolie sieht schon sehr herbstlich aus.
Ich verpflanze heute Nachmittag die restlichen drei Forsythien-Büsche und nehme wieder Abschied von meinem Bauernhof. Eigentlich wollte ich ein Feuer machen, aber von den ganzen Umzugskartons-Aufräumarbeiten am Vormittag bin ich müde. Wann ist mein Umzug in Berlin vom letzten Jahr endlich vorbei? Außerdem scheint heute keine Sonne mehr.



Für Fremde mag das malerisch aussehen. Als ich Peter Knaack und Simone von Zglinicki beim Drehen von "DAS ROTE ZIMMER" im Nachbardorf in einer Pause meinen Garten gezeigt habe, waren sie entzückt von der Wildnis.

Meine beiden ältesten Buchsbäume sind jetzt etwa 2,50 m hoch. Sie sind jetzt vielleicht 15 Jahre alt. Fast jedes Jahr ist in einem ein Rotschwänzchen-Nest. In diesem Jahr leider nicht.

Wenn ich ihn lasse, überwächst der wilde Wein bald alle Gebäude. Es ist sehr einsam hier geworden. Wenn ich dieses Bild anschaue, werde ich ganz melancholisch. Ich muss bald wieder einen neuen Film machen! Bäume und Büsche pflanzen hilft mir nicht beim Weiterleben.
04.10.10   Heute beginnen wir mit der Mischung von "DAS ROTE ZIMMER", und mich erreichen die ersten Plakazskizzen zum Film von Katrin Meyer, die fast alle meine Plakate seit "JUST MARRIED" und das Design dieser Website gestaltet hat. Außerdem eine erste Reaktion auf den Trailer auf YouTube: "Ein spannender Trailer - und aufregend schöne Musik!" Ich hätte sowohl für die Plakatentwürfe wie für den Trailer gerne mehr Reaktionen der Moana-Tagebuchleser.





Am ersten Tag der Mischung kommen wir bis zur 50. Filmminute. Wir werden also morgen fertig. So sieht es aus im großen Mischstudio von Interaudio, in dem ich seit über 30 Jahren meine Filme mische. Es ist der 8. Film, bei dem Robby Jäger mein Mischtonmeister ist.

Morgen abend, wenn wir fertig sind - wir mischen am Ende auch gleich noch den Trailer - gibt es Champagner.

Bevor es losgeht mit der Mischung, zeige ich allen Beteiligten die Entwürfe für das Filmplakat. Inzwischen habe ich auch schon ein paar Reaktionen darauf bekommen, aber ich hätte gern noch mehr Reaktionen!
05.10.10   "DAS ROTE ZIMMER" ist fertig!!! Ab jetzt gehört er dem Publikum. Wir feiern im Mischstudio die Fertigstellung mit einem Glas Champagner und trinken auf den Film. Die drei Fotos hat Tatjana Jacob, die Sound-Designerin gemacht. Kurz vor dem Ende der Mischung zeigt sie nochmal ihr ganzes Können auf dem Prgramm ProTools. Innerhalb von ein oder zwei Minuten löscht sie einen Versprecher von Seyneb Sahleh. Ihre Finger fliegen über die Computertastatur. Ihr Zuzuschauen ist atemberaubend. Sie ist, obwohl sie noch so jung ist, ein absoluter Profi.

Der Champagner.

Robby Jäger, der Mischtonmeister, und Beatrice Babin, die Cutterin stoßen mit mir an.

Tatjana meint, wenn ich dieses Foto von mir - ein Regisseur am Ende seiner Arbeit an seinem neuen Film - nicht ins Internet stelle, sei sie mir auf ewig böse. Das möchte ich nicht und tue ihr hiermit den Gefallen.
06.10.10   Gestern habe ich geschrieben, ab jetzt gehört "DAS ROTE ZIMMER" dem Publikum, einfach so, weil der Film fertig ist.
Ich meine aber auch, dass alles, was mit diesem Film passiert, wenn er mit seinem Publikum in Kontakt kommt, weiß niemand auf der ganzen Welt vorher. Das ist ein magischer Moment. Ich habe mit "DAS ROTE ZIMMER" das große Glück, auf einem für deutsche Filmregisseure neutralen Gebiet zu erleben, wie das passiert.
Da ich den Film nicht mehr selbst sehen kann, sehe ich das, was das Publikum sieht und fühle, ob sie mir beim Erzählen meiner Geschichte folgen und vor allem, ob sie dabei Spaß haben. Mehr will ich nicht.Wer darüber hinaus auch noch sehen kann, wie und wer ich beim Erzählen dieser Geschichte bin, über den freue ich mich total.
Gestern ist "DAS ROTE ZIMMER" fertig geworden und der neue Roman von Murakami erschienen. Heute habe ich ihn mir gekauft.
Ich habe angefangen, Murakami zu lesen. Aber so leicht geht das nicht. Ich kann nicht einfach umschalten zwischen Film drehen und dieses Buch lesen. Außerdem tut mir heute mein Knie weh wie noch nie vorher. Es hat die letzten beiden Jahre und den ganzen Film durchgehalten und jetzt streikt es. Mehr um mich aus dem tiefen Loch, in das ich jetzt vermutlich gefallen bin, abzulenken als aus zeitlicher Notwendigkeit fange ich an, die englische Untertitelung für die Viennale zu kontrollieren. Die Untertitelungsfirma in Wien hat mir das englisch untertitelte ROTE ZIMMER auf ihrem Server als wmf-downloaddatei übermittelt. Jetzt läuft auf meinem kleinen Lpbtop-Bildschirm links der Film und rechts die Untertitelliste. Was macht nur ein Regisseur in meinem Alter, der kein Computerfreak ist! Vielleicht brauche auch ich in Zukunft, sollte ich weiter Filme machen, jede Menge Assistentinnen. In "DAS ROTE ZIMMER" sagt Luzie: "Alle alten Männer träumen von einem Harem."
07.10.10  
Jetzt arbeite ich wieder auf meinem Bauernhof. Immer noch an der englischen Untertitelung von "DAS ROTE ZIMMER". Nach fünf Stunden bin ich fertig und habe sowohl die Änderungswünsche der Untertitelungsfirma, die das Spotting gemacht hat, wie auch die Verbesserungen, die Cynthia Beatt mir letzter Minute geschickt hat, eingearbeitet und darüber sogar vergessen, etwas zu Mittag zu essen. Jetzt gehe ich erstmal raus in meinen Garten.
08.10.10   Punkt 7.30 Uhr klingelt der Elektriker bei mir, um einen Schaden, den einer meiner Beleuchter bei den Dreharbeiten von "PINK" angerichtet hat, zu beheben. In drei Verteilerdosen im Innenhof waren die Stromkabel durchgeschmort. Die letzte Dose sah verwüstet aus und roch noch heute, zweieinhalb Jahre später, nach einem Schmorbrand. Jetzt nach zwei Stunden Arbeit ist alles wieder ok und überall brennt wieder Licht.


09.10.10   Gestern Nachmittag habe ich Murakami gelesen und dann hat mich der Lärm eines Rasentraktors auf dem Dorfanger dazu inspiriert, das Buch, das voller Überraschungen ist, wegzulegen, und auch meinen Rasentraktor in Betrieb zu nehmen.





Bei allem, was ich tue, fange ich an, wie die Figuren Murakamis zu denken.

Dreimal im Jahr muss der Inhalt meiner Jauchegrube abgefahren werden. Jeweils 40.000 Liter. Das meiste davon ist Regenwasser, das von allen vier Dächern herunterkommt. Eine Kanalisation gibt es hier nicht. Ich bin's gewöhnt, denn im Haus meiner Eltern war das auch so.



Ich sitze am Feuer und denke an die erste Kopie von "DAS ROTE ZIMMER" und bete insgeheim, dass alles gut gehen wird. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was alles ganz fürchterlich werden könnte. Bei irgendeinem meiner Filme in den achtziger Jahren, war der Film in der Abnahmevorführung asynchron. Die Abnahmevorführung von "DAS SICHTBARE UND DAS UNSICHTBARE" - das ist ja noch gar nicht so lange vorbei - war von der Lichtbestimmung her eine Katastrophe. Und jetzt ist alles neu. Vor allem die Umwandlung von digital auf analog. Ich werde nicht besonders gut schlafen in den nächsten drei Nächten. Möge der Rauch meines Feuers die Götter der modernen Filmtechnik rühren und auch in meinem Fall alles gut gehen lassen. Ich bin ja nicht der Erste, der mit der RED ONE dreht und den Film für das Kino auf Filmmaterial ausbelichten und dann kopieren lässt.
10.10.10   Wer zwei Wohnungen hat, verliert seine Seele, so oder so ähnlich, sagt das einer in Rohmers "Vollmondnächten". Mir geht das nicht so. Gestern habe ich meine Bettwäsche auf meinem Bauernhof gewaschen und in der Herbstsonne getrocknet. Das In-der-Sonne-Trocknen kann ich in Berlin nicht machen. Vielleicht kann ich in meinem Bett heute Nacht, trotz Nullkopieabnahme am Mittwoch gut schlafen.

Außerdem erwarte ich heute den dreihunderttausendsten Besucher auf meiner Website.
11.10.10   Ich habe den Murakamis "1Q84" heute zuende gelesen und bin verwirrt. So schnell habe ich seit einer Ewigkeit kein tausend Seiten-Buch mehr gelesen.
Die Nullkopie-Abnahme von "DAS ROTE ZIMMER" ist auf Freitag verlegt worden. Vielleicht haben da die "Little People" von Murakami ihre Hände im Spiel. Wenn ich jetzt auf dem Bauernhof wäre, würde ich in den Garten gehen und nachschauen, ob es auch zwei Monde am Himmel gibt.
12.10.10  

Heute morgen, als ich ins Auto steigen will, sitzt ein Rabe auf meinem Autodach und schaut mich an. Ich rede mit ihm, da ich noch immer in der Murakamiwelt lebe. Will er mir etwas sagen? Tatjana Jacob und Beatrice Babin haben den Raben der am Ende von "DAS ROTE ZIMMER" von links nach rechts durchs leere Bild fliegt, "Hugo" getauft, denn Raben sind weise Tiere, sagt Tatjana.
Ich habe gestern die erste Ablehnung eines richtigen Verleihs für "DAS ROTE ZIMMER" gekriegt. Wollte der Rabe mir sagen, dass ich den Verleih doch wieder selbst machen muss? Mit all den damit verbundenen Kosten.
Heute abend, 20.00 Uhr ist das Viennale-Programm Online. Da schreibt der Direktor Hans Hurch über "DAS ROTE ZIMMER" folgendes:
"Thome liebt die Versuchsanordnung der menschlichen Gefühle, die Konstruktion des Begehrens, das Spiel der Liebe. Er ist ein höfischer Regisseur der unmittelbaren Gegenwart, mischt die Figuren, verwirrt die Erzählung, schafft immer neue chemische Verbindungen. Zugleich haftet seinem neuen, wunderbar leichten und märchenhaften Film nicht die leiseste Systematik an. 2 Frauen, 1 Mann, 1 Haus, 1 rotes Zimmer. Und dazwischen weht der Wind, fliegen die Vögel, wird es Abend. Man könnte Das rote Zimmer ein schönes, mildes Alterswerk nennen, wären da nicht diese Blicke, diese Beschwingtheit, dieses Zögern und diese Unvernunft,"
Haha, "mildes Alterswerk"!

13.10.10   Im Viennale-Programm sehe ich, dass Klaus Lemke auch zur Viennale kommt. Ich habe seine letzten beiden Filme im Fernsehen gesehen und auch am Dienstag zum zweiten Mal "Rocker". Wir haben vor zwanzig Jahren mal miteinander telefoniert, aber gesehen haben wir uns das letzte Mal wahrscheinlich bei den Dreharbeiten von "SUPERGIRL" 1970 in Madrid. Da hat er einen Filmregisseur mit Sonnenbrille gespielt, der beim Anschauen von Mustern mit seinem Produzenten - das war Jess Hahn (der Hauptdarsteller von Rohmers erstem Film "Le signe du Lion"), immer nur einen coolen Satz gesagt hat.
Wenn wir uns wiedersehen sollten, werde ich ein Foto von ihm und vielleicht auch eins von uns beiden machen. Zwei Siebzigjährige, die zusammen angefangen haben, Filme zu machen und dann in verschiedene Richtungen gegangen sind. Sowas passiert nicht jeden Tag. Wenn das österreichische Fernsehen dafür ein Gespür hätte, hätten Sie schon jetzt eine Live-Sendung dafür vorgesehen. Immerhin habe ich eine Live-Sendung auf Ö1 am 27. Oktober, aber da ist Klaus Lemke schon wieder weg.
14.10.10  

Schon wieder einen Film von Klaus Lemke gesehen. Heute Nacht lief in der ARD "Die Ratte". Viele Nahaufnahmen mit langer Brennweite. Dazwischen geschnitten immer wieder Hubschrauberaufnahmen von Hamburg. Merkwürdige Liebes/Sex-Szenen, die mich an Szenen in Lemkes Kurzfilmen erinnert haben. Wenn Lemke da "Liebe" zeigen wollte, tanzte die Kamera um die "Liebenden" herum. Nicht die Sache selbst wurde gezeigt, sondern nur Bilder davon. Es entstand keine wie auch immer geartete Wirklichkeit. In "Die Ratte" gibt es nur noch Bilder von irgendetwas. ---
Am Mittag ein Anruf vom Postproduktionsstudio, der mich in absolute Panik versetzt. Die letzten drei Einstellungen von "DAS ROTE ZIMMER" sind leicht asynchron. Wie das passieren konnte, können mir alle meine beteiligten Mitarbeiter nicht erklären, denn in der Mischung letzte Woche war alles synchron. Mit Herrn Gregor von The Post Republic mache ich drei winzige Schnitte im Bild (er macht sie, ich autorisiere sie nur). Danach ist alles wieder synchron. Arri in München muss diese Schnitte jetzt allerdings im Negativ machen und den letzten Akt für die Viennale neu kopieren
Ich schwöre, so schnell nach Drehschluss werde ich nie wieder einen Film auf ein Festival schicken. Sonst könnte es passieren, dass ich vor lauter Aufregung einen Schlaganfall kriege und meine Filmkarriere wäre zu Ende. Das möchte ich weder meinen Feinden, noch meinen Freunden antun.
Hier ein Link zu "DAS ROTE ZIMMER" im Viennale-Katalog.

15.10.10   Heute war die Nullkopie-Abnahmevorführung im Arsenal-Kino. Da ich, um pünktlich zu sein, viel zu früh da war, habe ich mir den "Boulevard der Stars" etwas näher angeschaut.

Da ist noch viel Platz für weitere Sterne.

Am Anfang und am Ende gibt es komische Ständer aus Messing, auf denen die bisher vergebenen Sterne, nochmal zu sehen sind.

Wenn man in andere Messing-Ständer reinschaut sieht man Fotos. Das hier soll Fassbinder sein.
Danach die erste Vorführung von "DAS ROTE ZIMMER" als 35mm Filmkopie. Die war nicht so, wie wir uns das erhofft, erträumt, gewünscht haben. Wer das perfekte digitale Bild nie gesehen hat, wird das vermutlich gar nicht merken. Außerdem war die Arsenal-Vorführung nicht so, wie ich das bei denen erwartet hatte. Der Bildausschnitt stimmte nicht ganz für das von uns gewählte Breitwandformat (1:1,85). Auf der rechten Seite war ein Teil des Bildes abgeschnitten. Zwischen den beiden Projektoren gab es auffallende Unterschiede. Und der Dolby-Digital-Ton setzte dreimal für eine Sekunde aus. Vor 25 Jahren, als ich noch für das Berlinale-Forum gearbeitet habe, habe ich immer einen ganzen Tag dafür gebraucht, die Vorführung perfekt zu machen.
16.10.10   In der Zeitschrift "Schnitt" ist ein interessanter Text erschienen: "Mund zu, Augen auf. Der Filmkuss im Hollywoodkino". Ich bin gespannt, was die Verfasserin schreibt, wenn sie "DAS ROTE ZIMMER" gesehen hat.

In der Fidicinstraße, gegenüber von dem im Bau befindlichen Altersheim, hat ein neues Beerdigungsinstitut aufgemacht und im Schaufenster diverse Urnen und Särge ausgestellt. Wenn in meinen Filmen jemand gestorben ist, gab's bei den Beerdigungen immer nur einfache braune Holzsärge.
18.10.10   Ich bin ein Gefangener meines Films und seiner Aufführung am nächsten Sonntag auf der Viennale. Die HD Cam des Films, die mir für heute 12 Uhr fest versprochen war, ist nicht fertig. Aus lauter Frustration mache ich einen 2stündigen Spaziergang bei mir um die Ecke.

Der Weg zur Columbiahalle ist mit Konzertveranstaltungen vollgepflastert.

Das ehemalige Columbia-Kino. 1992, nach dem Auszug der Amerikaner hätte man dieses Kino mieten können. Gudrun Max und ich hatten gerade zusammen die Prometheus Filmverleih GmbH gegründet und träumten von einem eigenen Kino gleich um die Ecke. Wir haben uns beworben und es besichtigt. Der verlangte monatliche Mietpreis von 16.000 DM und das heruntergekommene Innere des Kinos sorgte dafür, dass sich unsere Träume allerdings sofort in Luft auflösten.



200 Meter entfernt davon steht dieses Denkmal aus verostetem Eisen, das ich noch nie gesehen und über das ich auch nichts gelesen hatte, zum Gedenken an die gequälten und ermordeten Menschen in einem Konzentrationslager der Nazis. Es hieß "Columbiahaus".



Zum erstenmal gehe ich auf das Gelände des Flughafens Tempelhof. Hier bin ich 1969 immer wieder mit einem Flieger aus München angekommen, um Uschi Obermaier, die in der Kommune 1 lebte, zu überzeugen, dass sie die Hauptrolle in "ROTE SONNE" spielen muss. Und dann nochmal, um die Lichtbestimmung des Films (was jetzt "Colorgrading" heißt) im UFA-Kopierwerk in der Victoriastraße zu machen. Das Kopierwerk gibt's schon lange nicht mehr. Der geschlossene Flughafen wartet auf die Zukunft.

Überall auf dem Flugafengelände gibt es durch Bauzäune abgesperrte Gebiete. Hier eins mit eine halb demontierten Flugzeug.

Auf dem Nachhauseweg komme ich an der Friedhofsmauer vorbei, die Gudrun Max und mich für das Plakat von "LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK" inspiriert hat, und an der Hannelore Elsner in "DU HAST GESAGT, DASS DU MICH LIEBST" nach ihrem ersten Friedhofsbesuch vorbeigelaufen ist.

Jetzt finde ich an der Friedhofsmauer diese brandneue Liebeserklärung…

…und etwa hundert Meter weiter einen Hinweis, dass sich um das Flughafengelände herum in Zukunft alles verändern wird.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor dem Gelände des Polizeipräsidiums (erst heute ist mir klar geworden, wie groß dieser Backsteingebäude-Komplex wirklich ist) und der Kraftfahrzeugzulassungsstelle steht dieser Werbeanhänger.
Morgen wird mir die HD Cam von "DAS ROTE ZIMMER" ins Haus geliefert. Denn da muss ich auf einen Telekomtechniker warten und habe auch sonst noch Termine.
19.10.10  
Hier drin ist der ganze Film "DAS ROTE ZIMMER" in (fast) optimaler Bildqualität. Noch eine etwas bessere Bildqualität hätte eine HDCAM SR gehabt, aber das können die Kinos nicht vorführen, da die Wiedergabegeräte um die 80.000 € kosten.
Darin steckt ein Jahr Arbeit und die Energien vieler Menschen, die an diesem Film mitgearbeitet haben. Die Kassette wiegt gerade mal 473 Gramm. Die Filmkopie wird so um die 25 kg wiegen. Kein Wunder, dass dem digitalen Kino die Zukunft gehört.

Hier auf dieser Insel haben Cynthia Beatt und ich 1978 "BESCHREIBUNG EINER INSEL" gedreht. Da gibt es inzwischen ein "guest-house" und zwei öffentliche Telefone. Vielleicht sogar schon Internet?
Die Erinnerung an Ureparapara wurde bei mir wachgerufen durch eine überraschende email meines ersten Kameramanns Sebastian Schröder, von dem ich seit 30 Jahren nichts mehr gehört hatte.
20.10.10   Ich sehe gerade auf der englischen Viennale-Programmseite, dass die Vorführung von "THE RED ROOM" im Künstlerhauskino am Sonntagabend "sold out" ist. Dort wird der Film digital und ohne Untertitel vorgeführt (falls alles gut geht). Ich mache am Samstagmittag noch einen Test. Im etwas kleineren Stadtkino sind für die Vorführung am Montagnachmittag noch Plätze frei. Da läuft "DAS ROTE ZIMMER" als Filmkopie mit englischen Untertiteln.
Wovon ich träume: dass es am Sonntagabend vor dem Künstlerhaus-Kino eine Schlägerei gibt, weil weitere 200 oder 300 Zuschauer unbedingt diesen Film sehen wollen und dass das Festival eine weitere Vorführung nach Mitternacht ansetzen muss, um die aufgebrachten Filmliebhaber zu beruhigen. Das ist mir in den 90er Jahren bei "DETEKTIVE" in Wien mal passiert. Allerdings ohne Schlägerei. Damals war dann auch die nachmitternächtliche Vorführung nochmal ausverkauft.
Gestern abend rief mich Seyneb Saleh an, dass sie nicht zur Viennale kommen kann, weil sie drehen muss. Gerade hat sie mich angerufen, dass sie zur ersten Vorführung des Films doch dabei sein wird.
21.10.10  


So sah es heute morgen in Berlin in der Fidicinstraße aus, als ich auf mein Taxi wartete.

Und so begrüßt mich die Stadt Wien. Beim Begrüßen der vielen Festivalmitarbeiter habe ich fast das Gefühl, als sei ich nie weggewesen.
Ich bin ja nun seit 2000 schon zum siebten Mal mit einem Film zur Viennale eingeladen und sowas wie ein Dauerregisseur des Festivals. Nur einen Film von mir in diesen 10 Jahren hat die Viennale nicht gezeigt. Das war "VENUS TALKING".
Ich bin trotz des tollen Wetters und des herzlichen Empfangs nervös und aufgeregt und gespannt, wie das Publikum in Wien auf mein "DAS ROTE ZIMMER" reagieren wird.
Da ich wegen meines Knies nicht so gut laufen kann, lege ich mich aufs Bett und lese das Rohmerbuch. Das scheint der Sonne draußen zu gefallen.



Die Dreckflecken sind nicht auf meinem Kameraobjektiv, sondern auf dem ungeputzten Fenster des Hilton. Man kann die nur kippen, nicht richtig aufmachen. Es könnte ja ein Hotelgast kommen und sich rausstürzen wollen. Auf der Straße unten wäre dann ein Häufchen Matsch.
Die englisch untertitelte 35mm Filmkopie von "DAS ROTE ZIMMER" ist inzwischen auch fertig geworden. Ich bin gespannt, wie sie hier im Stadtkino ausschaut. Hoffentlich besser als in Berlin im Arsenalkino.

22.10.10  

Der Eröffnungsfilm der diesjährigen Viennale "Des hommes et des dieux" von Xavier Beauvois war lang, sehr lang. Neben mir saß Marion Mitterhammer, eine österreichische Schauspielerin, die ich vor drei Jahren hier kennengelernt habe. Auf dem Weg zum Kino saß neben mir im Auto Apichatpong Weerasethakul. Ich habe ihm davon erzählt, warum es toll ist, mit der Red One zu drehen. Gegen Mitternacht beim Abendessen im Rathaus treffe ich endlich meine beiden Hauptdarsteller Katharina Lorenz und Peter Knaack.

Apichatpong Weerasethakul und Hans Hurch

Peter Knaack, eingerahmt von Marion Mitterhammer und Katharina Lorenz
Nachdem mein leichter Kater vom vielen Wein gestern überstanden ist, mache ich einen kleinen Spaziergang und laufe mit verwunderten Augen durch die Straßen. Die Städte auf dieser Welt werden sich immer ähnlicher.
Gleich neben dem Hilton entsteht folgendes supermodernes Bau-Monstrum. Jetzt sind es nur 7 Kräne, die noch am Fundament arbeiten.



Und das soll daraus mal werden. "An einem der wichtigsten Frequenzpunkte Wiens, in ummittelbarer Nähe zum historischen Stadtzentrum, entsteht ein multifunktionaler Gebäudekomplex, der in seiner Attraktivität einzigartig sein wird…die Überbauung des Bahnhofs mit einem rund 130.000 m² großen Büro-, Einkaufs-, Gastronomie- und Freizeitbereich stellt die derzeit größte innerstädtische Projektentwicklung Wiens dar."

Gleich neben dem Urania-Kino, in dem ich mir heute um halb zwei Uhr den neuen Film von Rafi Pitts "Shekarchi" (er lief schon im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale) angeschaut habe, steht dieses mit seinen Eckgebäudeteilen ziemlich orientalisch aussehende Gebäude. Es könnte genausogut in Kairo stehen.
Bevor der Film anfängt, müssen wir Zuschauer auch noch eine Werbung für die ultramoderne Donau-City ansehen. Mein Gott, genau die gleichen Sachen machen die überall außerhalb von Kairo in der ägyptischen Wüste.
Wie bei dem Film gestern abend zur Eröffnung bin ich auch heute von Filmminute zu Filmminute zusehends irritierter. Einstellung auf Einstellung ist mehr oder weniger beliebig aneinander geschnitten. Alles ist zwar unendlich wohl gemeint, aber es gibt keinerlei Art von "rotem Faden", der mich bei der Stange hält. Oder kann ich ihn nur nicht sehen, weil ich inzwischen, filmisch gesehen, ein Tattergreis bin? Ich glaube das nicht, und denke, dass mein Filmhirn noch immer funktioniert und dass ich auch die verrückteste Filmlogik, wenn sie existiert, wahrnehmen kann. Am liebsten würde ich sofort ins Wiener Filmmuseum gehen und mir Filme aus der Eric Rohmer-Retrospektive anschauen, denn der wusste immer, was er tut. Aber die kenne ich ja alle in- und auswendig. Oder alle Filme von Jean-Marie Straub hintereinander. Das ist zwar nicht unbedingt aufregend, aber beim Sehen niemals beliebig. Früher, ich glaube nach dem Bach-Film, den ich vermutlich zehn oder fünfzehnmal gesehen habe, habe ich zu Straub gesagt: "Herr Straub, können Sie nicht mal einen richtigen Film drehen."

23.10.10   Schon wieder bin ich erst um 2 Uhr morgens ins Bett gekommen. Nach einem langen Gespräch mit zwei österreichischen Schauspielerinnen, die jetzt in Berlin leben und den Film "Headshots" auf der Viennale zeigen.

Loretta Pflaum, Xavier Maly (einer der Mönche aus dem französischen Eröffnungsfilm) und Loretta Pflaum. Am frühen Morgen erzählt mir Viennaledirektor Hans Hurch, wie sein Telefonat mit Klaus Lemke verlaufen ist.

Am Nachmittag testen Beatrice Babin und ich die digitale Vorführung im Künstlerhaus-Kino, wo morgen "DAS ROTE ZIMMER" zum erstenmal vor einem Publikum gezeigt wird. Zuerst war die Vorführung extrem hell. Ich hatte schon Angst, dass wieder was nicht in Ordnung ist. Aber es lag am Digitalprojektor, der von vorher gezeigten Videos noch auf 25 Bilder pro Sekunde eingestellt war, und das Bild dadurch einen falschen Gammawert hatte. Mit 24 Bildern pro Sekunde war dann schlagartig alles richtig. Gleichzeitig erklären mir die freundlichen Filmvorführer, wie die Vorführung eines Films von einer DCP-Festplatte funktioniert.
Ich erfahre, dass die Vorführung auch im Stadtkino am Montagnachmittag so gut wie ausverkauft ist.
24.10.10  
Heute liegt dichter Nebel über der Stadt. Vielleicht ist das gut für die Vorführung von "DAS ROTE ZIMMER"?
Gestern habe ich zum erstenmal seit vielen Jahren zwei Filme mehr oder weniger hintereinander gesehen: "Road to Nowhere" von Monte Hellman und "Lung Boonmee raluek chat" von Apitchatpong Weerasethakul. Beide Filme haben mehrere "rote Fäden". Bei Monte Hellman sind die Fäden zersplitterte Spiegel, Man weiß nie von vornherein, ob das, was man gerade sieht, Wirklichkeit ist oder die Herstellung von Wirklichkeit durch Film, denn es ist ein Film im Film. Das muss mich interessieren, weil ich mit "INS BLAUE" etwas Ähnliches machen will.
Bei "Onkel Boonmee" ist der "rote Faden" noch komplexer, denn da gibt es viele Wirklichkeiten, die zwar scheinbar geradlinig und logisch erzählt werden, aber sich ständig vermischen. Da gibt es Gespenster mit glühenden roten Augen, gestorbene Menschen, die plötzlich als Geister wieder auftauchen, die moderne Welt mit Fernsehen, ein Lokal einer großen amerikanischen Fast-Food-Kette, die politische Wirklichkeit Thailands mit fleißigen Menschen "mit Migrationshintergrund", nämlich Leute aus Laos. Aber vor allem den Dschungel, den man nicht so filmen kann, wie die Regisseure in Europa und in Hollywood es gewohnt sind. Denn Dschungel ist per se geisterhaft. Da gibt es zu wenig Licht zum ordentlichen Filmen, da kann immer alles passieren. Da gibt es "wilde Tiere", Lianen, die auch Schlangen sein können, und vor allem auch Töne, die es sonst nirgendwo gibt. Ich musste immer wieder an Ureparapara in "BESCHREIBUNG EINER INSEL" denken, denn auch da gab es "devils", Geister, die das Betreten bestimmter Gebiete unmöglich machten. Sie waren plötzlich beim Drehen "tabu" für uns. Ich möchte beide Filme nochmal sehen, um sie besser zu "verstehen". Vor allem "Onkel Boonmee", der mir sehr viel näher gekommen ist als der Film von Monte Hellman. Ich habe zu Weerasethakul, den ich hier kennengelernt habe, gesagt, dass wir uns wiedersehen werden, irgendwann irgendwo. Das schien ihm gefallen zu haben und das wird vielleicht auch passieren. Dann werde ich ihm von der Südsee erzählen und er wird alles verstehen, obwohl er eigentlich ein "intellektueller" Regisseur ist. Und daher ganz anders ist, als ich es bin. Verbindungen zwischen seinem und meinem letzten Film würde ich gerne herstellen, aber das ist nicht mein Job. Ich bin, Gott sei dank nicht mehr Filmkritiker. Aber vielleicht würde das ihm gelingen, weil er beim Filmemachen mehr denkt und plant als ich. Ich wäre glücklich, wenn er heute Abend "DAS ROTE ZIMMER" sehen könnte, aber da ist er schon wieder nachhause geflogen. Denn auch bei meinem Film vermischen sich - wie bei ihm - Wirklichkeiten. Allerdings nicht so sichtbar. Denn bei mir sieht man ja nur Alltäglichkeiten: Frühstücken, Staubsaugen, ein Zimmer mieten, Fische angeln, um sie hinterher zu essen, Wein trinken… ich merke beim Aufzählen von den Dingen, die man in "DAS ROTE ZIMMER" sieht, dass alles doch gar nicht so alltäglich ist. Denn es gibt immer einen "twist". Ich komme zwar nicht aus Thailand, und was ich zeige, ist, auf den ersten Blick nicht exotisch, auf den zweiten Blick allerdings schon. Die Zuschauer und die Kritiker müssen nur die Augen aufmachen. Ich fordere sie hiermit dazu heraus.
25.10.10   Bei seiner ersten Aufführung hat "DAS ROTE ZIMMER" gezeigt, welche erzählerischen und komödiantischen Kräfte er hat. Der Film besteht aus 125 Szenen und ich denke, dass ich nicht übertreibe, wenn ich sage, das Publikum hat mindestens fünfzigmal gelacht. Und genauso viel gelacht haben meine Darsteller, zwischen denen ich beim Anschauen des Films saß. Das ist für mich wichtig, denn beim Erzählen einer Geschichte, bedeutet Lachen immer auch Zustimmung, und dann weiß ich, dass das, was ich gemacht habe, richtig ist.
Leider hat der Fotoapparat, mit dem ich seit meiner ersten Reise nach Kairo im Januar meine Fotos hier im Moana-Tagebuch mache, plötzlich versagt. Der Blitz ging nicht mehr. Deshalb hier nur ein unscharfes Foto von mir und Seyneb Saleh, die nur für ein paar Stunden nach Wien kommen konnte, weil sie in Berlin gedreht hat.



Im Stadtkino läuft heute Nachmittag die englisch untertitelte Filmkopie von "DAS ROTE ZIMMER".
Nichts Böses ahnend fahre ich nach dem Mittagessen in den 12. Stock des Hilton. In der Executive Lounge dort entdecke ich den gerade frisch in Wien angekommen Klaus Lemke. Er sagt, er hätte mich nicht wiedererkannt, wenn ich ihm nicht meinen Namen genannt hätte. Er reicht mir die Hand zur Begrüßung. Ich drücke seine ein bisschen fester als normal. Er schreit auf vor Schmerz und fragt mich, ob ich inzwischen Bergsteiger geworden bin. Ich gebe der Gästebetreuerin Nina Orda meine Kamera und bitte sie, ein Foto von unserem ersten Wiedersehen nach vierzig Jahren zu machen.

Ich sehe leider etwas mitgenommen aus vom vielen Wein hier. Lemke guckt für das Foto sofort knallhart…

…und zieht für das zweite Foto sofort Jackett und Schal aus, damit sein sportlicher Oberkörper besser zur Wirkung kommt. Nina lacht sich halbtot über das, was wir zueinander sagen. Jetzt wo ich die beiden Fotos anschaue, muss ich gestehen, dass er in meiner Erinnerung größer war. Vielleicht ist er schon etwas geschrumpft. So was soll ja in dem Alter, in dem wir beide sind, vorkommen.
Bei einem Abend-Empfang im Hilton inszeniert sich Klaus Lemke mit seinen Darstellern aus "Schmutziger Süden" für die Kamera des Festivalfotografen. Ich mache halt auch ein Bild, weil mir das alles unwirklich vorkommt.

Über die zweite Aufführung von "DAS ROTE ZIMMER" heute schreibe ich morgen noch was. Nur eins vorab, sie war wunderbar.
26.10.10  

Die Vorführung von "DAS ROTE ZIMMER" im Stadtkino als 35mm-Filmkopie war technisch einwandfrei. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Die Publikumsreaktion war wie im Künstlerhaus-Kino. Die Zuschauer haben allerdings noch mehr gelacht. Da gleichzeitig im Gartenbaukino der neue Film von Todd Solondz "Life During Wartime" lief, musste ich an das Lachen der Zuschauer in "Happyness" denken.
"Happyness" habe ich 1998 durch Zufall auf dem Vancouver Filmfestival zum ersten Mal gesehen. Das Kino war vollgepackt mit Zuschauern, die sich bereits nach kurzer Zeit totlachten über die Menschen, die da zu sehen waren. Ich wollte nach 10 Minuten rausgehen, aber das wäre zu aufwendig gewesen. Also bin ich unter den lachenden Zuschauern sitzen geblieben und habe nicht gelacht.
Einen Monat später war ich in der Jury des Sao Paulo Filmfestivals und auch dort lief "Happyness". Bei der letzten Jurysitzung, die bis weit nach Mitternacht ging, bekam dann gegen meinen heftigen Widerstand "Happyness" den Hauptpreis. Meine Argumentation, dass ein Film, der seine Figuren denunziert, diese als Mittel benutzt für irgendeine gesellschaftskritische oder politische Aussage, sei im höchsten Maße unmoralisch, wurde von den anderen Jurymitgliedern nicht für sonderlich wichtig gehalten.
Wenn die Zuschauer in meinem neuen Film "DAS ROTE ZIMMER" lachen, lachen sie aus völlig anderen Gründen. Sie lachen mit mir darüber, wie und was ich da erzähle. Auch über die Filmfiguren und die Schauspieler, die sie verkörpern. Denn ich liebe meine Filmfiguren, die ja auch oft, ob Männer oder Frauen, Spiegelungen meiner eigenen Person sind.

Gerade entdecke ich bei CARGO diese unglaublich schöne und komplexe Kritik von Ekkehard Knörer:
"Die Zahlen des Tages: 1939, 1938, 1940. Die Namen dazu: Rudolf Thome, Larry Cohen, Klaus Lemke. Geburtsjahre von Regisseuren im, nimmt man Manoel de Oliveira zum Maßstab, mittleren Alter. Keine Zahlen, mit denen man im Lotto gewinnt. Lebende Legenden in eher kleinen Kreisen. Cohen ist auf der Viennale eine Retro gewidmet. Thome und Lemke sind mit neuen Filmen hier, haben in München einst gemeinsam angefangen, sich auseinanderentwickelt und nun sind sie, wie man bei Thome nachlesen und auch sehen kann, einander nach vierzig Jahren erstmals wieder begegnet. (12. Stock, Hilton, Wien, Executive Lounge.) Aber der Reihe nach.
Kussforschung also, Philematologie. Diese Wissenschaft gibt es tatsächlich, dennoch verbirgt sich hinter diesem recht genau ausskizzierten Forschungsgebiet des Fred Hintermeier kein Ankerwurf, eher ein Angelwurf in die Realität. Kann man so sagen, weil in DAS ROTE ZIMMER geangelt wird, strikt nach humorvollem Lehrbuch, und mal beißt ein dicker Fisch, mal die Wirklichkeit an und mal die Göttin der Liebe, die nackt aus dem Wasser steigt und den Mann so verführt, dass er hinterher nicht mehr will oder kann. Forschende sind sie alle und Liebende auch und also wie stets noch Forschende nach Formen der Liebe in Thomes neuem Film, der in Berlin seinen Ausgang nimmt, in einem blauen Haus auf dem Land in Klein-Blittersdorf seinen Fortgang und der auf dem Weg ans Meer dann bei Regen im Auto ein mehr schönes als offenes Ende findet, himmelwärts. Auf der Suche nach der Seele des Mannes: Sibil und Luzie in Berliner Bibliotheken. Sibil angelt sich, alles Bücherwisse geht dabei passenderweise zu Boden, einen Mann in der Stabi, der aufs Land kommt und recht schnell wieder in die Großstadt zurückgeschickt wird. Luzie dagegen fängt einen Professor (der keiner ist, das hatten wir bei Hong schon, einem Forscher der Liebe ganz anderer Art), der kommt, bleibt, nicht mehr geht.
 Luzie und Sibil leben zusammen, lieben sich, und sehen, das nicht zuletzt, gemeinsam die Tagesschau. Ein kleines Paradies, das, anders als man denken sollte, durch die angewandte gemeinsame Seelenforschung am lebenden Exemplar nicht wirklich aus der Balance gerät. Und Balance ist das Schlüsselwort. DAS ROTE ZIMMER ist ein Film, in dem in Gesten, in kleinen Taten, in Worten, in Sitzordnungen und Tagesschauguckordnungen und (Miteinander)Schlafordnungen und zuerst und zuletzt in Blicken tariert wird, immerzu. Lauernd tariert, liebevoll tariert, streng tariert, sanft tariert, begütigend und herausfordernd tariert und zuletzt vertraglich tariert: vorsichtige Ausformung der Grammatik eines Glücks zu dritt in einem Idiom, das sonst keiner spricht.
Wie in PINK schon wählt die Frau (hier als  dioskurisches Liebespaar, Sibilluzie, Luziesibil) den Mann (der wieder so ein bisschen ein Tropf ist, ein Philosoph ohne Picht). Der wiederum hat - wie Pink damals von Gott - einen Befehl bekommen, von Karlheinz Oplustil, bei Gelegenheit seiner Scheidung: Geben Sie beim nächsten Mal mehr Acht bei der Partnerwahl. Voilà. Wieder ist diese Liebe eher ein Spiel, ein weit weniger böses diesmal, zwei Frauen findet einen, an dem nichts weiter toll ist, der einfach passt. Er wird auch nicht passend gemacht, die Gewalt, wo sie ausgeübt wird, bleibt stets außerordentlich sanft: ein anweisender Blick, du sitzt da, geh jetzt. Die Kräfte, die hier walten, sind fast unirdischer Art.
 DAS ROTE ZIMMER ist ein Fantasiestück und hat doch immer Wirklichkeitsreste an der Angel. Das ganze funktioniert (und es funktioniert wunderbar), weil es in sich selbst so perfekt balanciert und tariert ist. Der Auftritt der Göttin Venus etwa ist das Selbstverständlichste von der Welt. Alles hat hier das gleiche Gewicht und keine Tat zieht eine schlimmmögliche Folge nach sich. Thome wiederverzaubert die Welt, aber er tut das, und es ist ein genialer Trick, durch Banalisierung. Man schläft mit der Göttin, man guckt zusammen die Tagesschau, man unterschreibt mit Blut oder Wein einen Vertrag, und all das wird detailliert präsentiert als der natürliche Lauf der Dinge. Die Einübung eines ganz besonderen, sanft ironischen Blicks. DAS ROTE ZIMMER lehrt, das Verrückte anzusehen mit nicht zu verblüffenden Augen. Irgendwie hat Thome einen - keineswegs reaktionären - Weg zurück ins Paradies gefunden, und zwar, anders als Kleist sich das gedacht hat, nicht im Durchgang durch die Reflexion. Eine merkwürdig post- oder präromantische, kleine, balancierte, blicksanft handfeste Utopie."

Und hier ist noch eine Kritik von Lukas Foerster auf Dirty Laundry:
"Nur ein wenig jetzt, mehr wird es hoffentlich später zu sagen geben über diesen schönen Film, aber dazu muss und möchte ich auch Das rote Zimmer wohl zuerst noch ein zweites Mal sehen; so kunstvoll versteckt der Film seine kunstvolle Konstruktion.
Vielleicht sind alle Thome-Filme inzwischen Beschreibungen von Inseln. Beschreibungen weil sie eher beschreiben denn erzählen, wie etwas geschieht: nicht unbedingt nüchtern, aber stets genau und ein wenig pedantisch (das Kino darf pedantisch sein), eins nach dem anderen, jeder Schritt hat dieselbe Emphase, ob sich zwei küssen und eine dritte den Kuss beobachtet (das passiert oft im Film und der Blick der Beobachtenden hat ganz unterschiedliche Bedeutungen, ist mal nur wissenschaftlich-neugierig, mal eifersüchtig, mal irgendwas dazwischen), oder jemand nur mit einem Auto an Weizenfeldern (?) entlang fährt, anhält und aussteigt. Was würde es bedeuten, wenn...? Und genau dieses "was wäre, wenn" ist die Form der Filme, das resultiert allerdings nicht in fantastischen Konstruktionen, sondern in Welten knapp neben der Realität, Welten, in denen man sich auch nicht wundern muss, wenn in den Fernsehnachrichten vom Oderhochwasser die Rede ist. Inseln, weil die Filme auf inselartige Organisationsstrukturen zustreben. Häuser mit eigenem Garten und Teich, Selbstversorger aus freiem Willen, vertraglich geregelte Absonderung. (Aber die Insel ist nicht völlig isoliert, sie braucht ihr Außen, die Stadt. Und es ist nicht so, dass allen Thome-Figuren in der Stadt unbedingt etwas fehlt.) Auf einer Insel gibt es andere Organisationsformen (oder: es kann andere Organisationsformen, solche, die es sich im Kino zu beschreiben lohnt, nur noch dort geben) als an Orten, die keine Inseln sind. Und diese Formen zu beschreiben ist nicht dasselbe wie eine einfache Flucht ins Private.
Wie in Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan: Ein Mann, zwei Frauen, ein Haus auf dem Land. Aber das Ende ist völlig anders und im ganzen Film geht es um Wissenschaften und um Verträge, um Formalisierungen. Fred, der Mann ist außerdem diesmal kein Alien, sondern Kussforscher und schreibt einmal ein biochemisches Paper mit allerlei Formeln und Statistiken, während ihm die Kamera über die Schulter blickt. Die beiden Frauen, auf die er trifft, erforschen Gefühle, erstellen Fragebögen, formulieren Verträge. Luzie, die eine Frau, schreibt außerdem Romane, sie ist es, die Fred findet und in das gemeinsame Landhaus einführt. "Ich werde Dich lieben, bis ich sterbe", sagt sie. Sibil, die andere Frau, ist erst sehr bossy, als Fred dann aber mit verbundenen Augen in Richtung rotes Zimmer geführt wird, hebt sie sanft die Äste eines Baumes, damit die ihm nicht ins Gesicht geraten. Ein anderes Mal legt sie ein, so nennt es der Abspann: Buschfeuer. Diese Szene habe ich nicht ganz verstanden. Auch deshalb möchte ich diesen Film bald wieder ansehen."

27.10.10   Gestern war ich noch einmal im Kino und habe "Headshots" gesehen, weil ich zwei Schauspielerinnen in diesem Film am ersten Abend hier kennengelernt hatte. Was mich interessiert hätte, wäre der Videobrief der Hauptdarstellerin (und Produzentin) Loretta Pflaum gewesen. Aber der kam da immer nur sporadisch vor. Der meiste Teil des Films war angestrengtes Kunstgewerbe mit schrecklichen Bild-und Toneffekten. Nur eine Szene war richtig spannend. Da sagt Loretta Pflaum ihrer Freundin (gespielt von Laura Tonke) in Anwesenheit des Ehemanns, dass sie mit ihm geschlafen hat. Die Freund ist zunächst geschockt, läßt sich dann aber darauf ein, dass man sich durchaus zu dritt lieben könne. Der Ehemann macht dabei eine denkbar schlechte Figur. Diese Szene hätte in einem Film von mir vorkommen können.
Heute um 14.00 Uhr mache ich ein einstündiges Live-Interviesw auf Ö1 in der Sendung "Von Tag zu Tag" mit Rainer Rosenberg (LINK). Danach fliege ich zurück nach Berlin.
28.10.10  
Da Rainer Rosenberg einen Hinweis auf meine Website gegeben hat, hatte sie gestern immerhin 740 Besucher. Das ist ein Rekord. Wenn die auch noch alle das Thomebuch kauften, das er netterweise auch erwähnt hat, wäre die gesamte Auflage ausverkauft.
Heute Abend hat der zweite Kurzfilm meiner Tochter Joya "Hätte der Mond auch Schokolade geweint" bei den Hofer Filmtagen Premiere (LINK).
29.10.10   Ich muss endlos lange auf einen Telekomtechniker, der mich schon vor zehn Tagen hat sitzen lassen, warten. Er soll mein zweites Telefon wieder anschließen. Das Warten wird mir versüßt durch Serpil Turhan, die ich seit unserem letzten Drehtag nicht mehr gesehen habe. Wir sprechen über die Viennale. Über all das Erfreuliche und auch das nicht so Erfreuliche. Danach muss ich auf meinen Bauernhof fahren und die ersten Wintervorbereitungen treffen.
30.10.10   So schön wie in diesem Jahr war der Herbst auf meinem Bauernhof schon lange nicht mehr. Vielleicht liegt es auch nur an der Publikums- und Kritikerreaktion von "DAS ROTE ZIMMER" auf der Viennale?



Vor drei Jahren haben wir hier die Herbst-Szenen von "PINK" mit Cornelius Schwalm gedreht, der beim Wäscheaufhängen "du bist ein böses, böses Mädchen" gesungen hat. Und in "DAS ROTE ZIMMER" hat Cornelius Schwalm Peter Knaack eine Angel verkauft, "bei der die Fische von ganz alleine anbeißen". Das Publikum in Wien hat sich halbtot gelacht.

Ich weiß nicht mehr, wie diese Blumen heißen. Ich kenne sie nur als "Michaeliblumen". Die blühen immer, wenn sonst fast nichts mehr blüht.

Statt die Herbstsonne zu genießen, sitze ich in meinem roten Zimmer und fange an, mir die Filme von Apitchatpong Weerasethakul anzuschauen. Ein Bild aus "The Adventures of Iron Pussy". Der ist ja noch verrückter in seinen Filmen als ich es in meinen bin. Ich werde ihm eine englisch untertitelte DVD von "DAS ROTE ZIMMER" schicken. Er hat sich vor seiner Abreise von Wien auf meiner Website umgeschaut und meine Liebe zum Kino bewundert. Er versteht auf jeden Fall mehr von dem, was ich unter "Kino" verstehe, als viele Filmkritiker in Deutschland und einige Schauspieler, mit denen ich gearbeitet habe. Wenn ich die Pausetaste auf meinem DVD-Player drücke und dann in meinen Garten gehe, vermischen sich die Wirklichkeiten. Ich fühle mich dann wie auf einem LSD-Trip. Den allerersten, an meinem 30. Geburtstag, in der "Rote Sonne"-Wohnung erlebte ich übrigens mit Klaus Lemke. Er war mein "guide" und er war dabei wunderbar.
31.10.10   Noch ein mal etwas zu Klaus Lemke. 1967 habe ich mit ihm "Galaxis" gedreht. Dabei hat er Dieter Geißler und Monika Zinnenberg kennengelernt, mit denen er dann drei Monate später "48 Stunden bis Acapulco" gedreht hat. Hier ein Link zu meinem Clip auf YouTube. Da sagt Monika Zinnenberg zu ihm: "Nehmen Sie Ihre Brille ab. Ich will Ihre Augen sehen." Da schaut Klaus Lemke ganz anders aus als heute mit seiner Schiebermütze. Ganz süß und verträumt, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht.
Heute sehe ich den dritten Film von Apitchatpong Weerasethakul "Tropical Malady". Ich muss gestehen, dass ich noch nie gesehen habe, wie Männer, die sich ineinander verlieben, damit umgehen und was die dabei so machen und habe ernsthaft darüber nachgedacht, ob ich sowas nicht auch mal versuchen sollte. Das waren meine Gedanken beim ersten Teil. Im zweiten Teil, im Dschungel, bei den Sachen mit dem Tiger, konnte ich nicht fassen, wie jemand solche Geschichten erzählen kann. Gegen seine Kühnheit bin ich mit meinen Kühnheiten leider nur ein Zwerg.



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